Säugetiere sind uns Menschen vertrauter als viele andere Tierarten. Das gilt nicht nur für Hund und Katze als liebgewonnene Mitbewohner, sondern auch für das Eichhörnchen im Park, den Igel im Garten und das Reh am Waldrand. Insgesamt 81 wildlebende Säugetierarten gibt es aktuell in Hessen, davon gelten 71 als heimisch. Wissenschaftler des Instituts für Tierökologie und Naturbildung haben nun im Auftrag des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) deren Gefährdungssituation analysiert. Dabei ergab sich ein sehr unterschiedliches Bild: Seit langem ausgestorbene Säugetiere wie die Fledermausart Kleine Hufeisennase, Luchs, Fischotter und Wolf haben sich in Hessen wieder ansiedeln können. Eine besondere Erfolgsgeschichte ist die Wildkatze in Hessen. Die Art hat sich seit dem Stand der letzten Roten Liste aus ihren damals verblieben Rückzugsgebieten im Taunus und Meißnergebirge wieder weit in nahezu alle hessischen Mittelgebirge ausbreiten können. Gut die Hälfte der heimischen Säugetierarten ist jedoch bestandsgefährdet oder schon seit langem ausgestorben. Wesentliche Gefährdungsursachen sind vor allem die Intensivierung der Landnutzung, Ressourcennutzung und Energieerzeugung, der Klimawandel, die Zerschneidung und Überbauung der Landschaft sowie der Verlust von Gehölzstrukturen und ungenutzten Vegetationssäumen. Auch sogenannte gebietsfremde Arten, d. h. einstmals eingeführte Arten wie der Waschbär oder das Nutria, können sich nachteilig auswirken. Insgesamt sinken die Kapazität und die Verfügbarkeit der Lebensräume für Säugetiere in Hessen. Das wird in der aktualisierten Roten Liste der Säugetiere Hessens ausführlich dargestellt, die heute veröffentlicht wurde.
„Unser Ziel ist es, nicht nur die letzten ihrer Art vor dem Aussterben zu retten, sondern Artenvielfalt und Lebensräume wiederherzustellen. In den vergangenen Jahren haben wir dafür eine Vielzahl von Maßnahmen auf den Weg gebracht – beispielsweise das neue Naturschutzgesetz, das Hilfsprogramm für windenergiesensible Arten, große Naturwaldgebiete, das Grüne Band, die Vergrößerung des Nationalparks oder die Feldflurprojekte. Diese Projekte zeigen bereits erste Erfolge und daran knüpfen wir an“, erklärte Umweltstaatssekretär Oliver Conz.
Rote Listen sind Fachveröffentlichungen von Expertinnen und Experten zu bestimmten Artengruppen. Sie sind wichtige Statusberichte zum Zustand der Artenvielfalt. Insbesondere veranschaulichen Rote Listen die Häufigkeit und Gefährdung von Arten. Das HLNUG ist für die Koordination, Redaktion und Herausgabe der Roten Listen Hessens zuständig. Es veröffentlicht in regelmäßigen Abständen neue bzw. aktualisierte Rote Listen Hessens.
Im Auftrag des HLNUG erstellten die Expertinnen und Experten Dr. Markus Dietz, Lisa Höcker, Johannes Lang und Olaf Simon vom Institut für Tierökologie und Naturbildung die aktualisierte Rote Liste der Säugetiere Hessens. Diese zeigt: Insgesamt sind acht der 71 in Hessen etablierten, heimischen Säugetierarten ausgestorben oder verschollen (11 %) und über ein Drittel der bewerteten Arten (35 %, 25 Arten) gilt als bestandsgefährdet.
„Seit Erscheinen der letzten Fassung der Roten Liste im Jahr 1996 hat sich die Situation vieler Säugetierarten erheblich verschlechtert. Der weltweit fortschreitende Artenschwund zeigt sich auch bei den Säugetieren in Hessen“, konstatiert Prof. Dr. Thomas Schmid, Präsident des HLNUG. „Am stärksten im Bestand bedroht sind noch immer Fledermäuse, auch wenn sich die Bestände in den letzten beiden Jahrzehnten etwas erholt haben und manche Arten wie die Mopsfledermaus sich gegenwärtig wieder stärker ausbreiten. Auch einstmals häufige Arten wie Feldhamster und Igel werden immer seltener oder sind inzwischen stark bedroht, da ihre Lebensräume sich stark verändern.“
Die intensivierte Bewirtschaftung von Offenland und die Entwicklung hin zu großen Bewirtschaftungseinheiten führen zu einem Mangel an unterschiedlichen Strukturen im Offenland, wie z. B. Hecken, Feldgehölzen, Wiesen und Gewässern. Vor allem kleine oder mittelgroße Säugetierarten, wie z. B. Feldhamster, Feldhase, Hermelin und Igel, leiden unter der fehlenden Strukturvielfalt. Fledermausarten dienen diese Strukturen als Orientierung bei Transferflügen und der Nahrungssuche im Offenland.
Baumbewohnende Fledermausarten finden durch forstwirtschaftliche Verfahren, wie dem in den vergangenen Jahrzehnten angewendeten Schirmschlagverfahren, bei denen großflächig Altbäume entnommen werden, nicht ausreichend Baumhöhlen, in denen sie ihre Jungtiere großziehen können. Heute entsprechen diese Verfahren zumindest im Staatswald daher nicht mehr der gängigen Praxis. Renovierungen an Burgen, Schlössern oder Kirchen reduzierten bereits vor über 50 Jahren das Quartierangebot für Fledermäuse – eine Gefahr, die gegenwärtig durch die lückenlosen Dämmsysteme an Wohnhäusern noch verstärkt wird. Nicht nur im Offenland und Wald, sondern auch im urbanen Raum führen Strukturveränderungen zu Artenschwund: Barrieren aus massiven Zäunen und Mauern in struktur- und nahrungslosen Ziergärten verhindern, dass sich z. B. der Igel frei bewegen und nach Nahrung suchen kann. Die immense Beleuchtung der Siedlungsräume führt zur Meidung durch lichtsensitive Fledermausarten und reduziert die ohnehin schon geringe Insektendichte in der Landschaft.
Um frühzeitig eine Verschlechterung der Säugetiervielfalt zu erkennen, ist es wichtig, regelmäßig die Vorkommen besser zu beobachten. Durch gezieltes Nachsuchen von Säugetierarten in Regionen, wo kaum Nachweise für die Art vorliegen, müssen die Daten in Hessen zukünftig maßgeblich verdichtet werden, so die Autorinnen und Autoren. Kürzlich ist durch eine entsprechende Nachsuche erstmalig ein gesicherter Nachweis einer Rauhautfledermauskolonie in Hessen geglückt. Zum Schutz der vom Aussterben bedrohten Säugetierarten oder insbesondere Arten mit negativem Bestandstrend, schlagen die Autorinnen und Autoren außerdem Artenhilfsprogramme vor. „Mit dem Programm zum Schutz des Feldhamsters, der Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald und gezielten Artenhilfsprogrammen wie z. B. für windkraftsensible Fledermausraten unternimmt das Land bereits einige Anstrengungen, die auch Wirkung zeigen werden“, so Dr. Markus Dietz, der Leiter des Instituts. „Es ist jedoch wichtig in der Fläche noch viel wirksamer zu werden, wozu auch jeder Eigenheim- und Gartenbesitzer beitragen kann.“
Auch durch eine bessere Vernetzung zerschnittener Lebensräume z. B. durch Unter- und Oberführungen von Straßen und durch die Anlage von Baumreihen, Hecken und Wegrändern als strukturgebende Verbindungsbiotope kann die Kapazität und Verfügbarkeit von Lebensräumen deutlich erhöht werden. Der Igel beispielsweise profitiert im urbanen Raum sehr von strukturreichen und naturnahen Gärten mit offenen Zäunen und vielen Obstbäumen. Die Hälfte der Fledermausarten in Hessen nutzt Gebäude zur Aufzucht der Jungen und als Quartiere. Bei Gebäudesanierungen ist es daher wichtig, keine Tiere einzuschließen und in unmittelbarer Umgebung ausreichend Ersatzquartiere durch Fledermauskästen anzubringen.
Weitere Informationen:
Die Rote Liste der Säugetiere Hessens und andere Rote Listen Hessens gibt es kostenfrei zum Download unter: https://www.hlnug.de/themen/naturschutz/rote-listenÖffnet sich in einem neuen Fenster
Sie können die Rote Liste als gedruckte Exemplare kostenfrei über unseren Online-Shop unter https://www.hlnug.de/publikationenÖffnet sich in einem neuen Fenster (dort: Schriften > Schriftenreihen > Rote Listen) bestellen.
Informationen zu aktuellen und beauftragten Roten Listen Hessens finden Sie unter: https://www.hlnug.de/themen/naturschutz/rote-listenÖffnet sich in einem neuen Fenster
Kontakt:
Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie
- Pressestelle: Franziska Vogt
- Tel.: 0611 - 6939 307
- E-Mail: pressestelle@hlnug.hessen.de
Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Pressestelle: Jana Kinne
- Tel.: 0611 – 815 1020
- E-Mail: pressestelle@umwelt.hessen.de
Institut für Tierökologie und Naturbildung
- Geschäftsführer: Dr. Markus Dietz
- Tel.: 06405 - 505 77 11
- E-Mail: markus.dietz@tieroekologie.com